SLAVISCHER BUDENZAUBER

Datum 10.09.2008 05:03:15 | Thema: Artikel

Domovoi und Kikimora

Von Andrium

Auch bei unseren Nachbarn im Osten Europas haben Alb-Attacken eine lange Tradition...
In der slavischen Folklore nennt man einen Hausgeist, so er denn männlich ist "Domovoi“, wohingegen ein weibliches Hausgespenst allgemein die Bezeichnung "Kikimora“ trägt. In die Natur beider Erscheinungsformen des wahrscheinlich identischen Phänomens wollen wir im Folgenden einen kurzen Einblick nehmen und einige ihrer Eigenschaften vergleichen.

Es gibt in der Literatur verschiedene landestypische Variationen dieser Namen: Domovoi in Russland, Domaći in Kroatien, Dědek in Tschechien, Domovik in der Ukraine, etc. Domovoi bedeutet dabei soviel wie "Hausherr“ oder "Der im Hause“. Die Wortwurzel domus für "Haus“ entstammt dem Lateinischen.

Für die weibliche Form Kikimora gibt es dementsprechend ebenfalls einige sprachliche Varianten wie z.B. Schischimora, Zmora oder Mara.

Entgegen dem Gebot der Höflichkeit wenden wir uns ausnahmsweise zuerst den "Herren“ zu, da die männliche Form des slavischen Hausgeistes in der Alltagskultur die geläufigere zu sein scheint und diese öfter in z. T. heute noch lebendiger Tradition eine Rolle spielt.


DOMOVOI

Domovois werden typischerweise als klein und Heinzelmännchen-artig beschrieben und sollen lange Bärte tragen oder gar ähnlich einem Bigfoot über und über mit buschigem Fell bedeckt sein. Meist werden sie aber als hutzelige, greise Wichtel beschrieben und bildlich dargestellt bzw. in ihnen die Rolle eines übernatürlichen Großvaters gesehen.

Glaubt man den Überlieferungen, können Domovois auch beliebig die Gestalt wandeln und entweder das Aussehen eines früheren Hausbewohners annehmen oder sogar die Gestalt eines aktuellen Bewohners perfekt imitieren. Ähnlichkeiten mit "klassischem“ ortsgebundenem Spuk und mit dem Phänomen des Doppelgängers werden hier bereits deutlich.

Einigen Zeugenberichten zufolge soll es vorgekommen sein, dass der Domovoi in der Erscheinungsform des Hausherren gesehen wurde, während der eigentliche Hausbesitzer auf dem Feld oder sonst wo fernab seines Domizils beschäftigt war bzw. auswärts schlief.

Die Wandlungsfähigkeit des Domovois beschränkt sich aber nicht alleine auf humanoide Formen: So werden auch häusliche Sichtungen seltsamer Tiergestalten mit Schwanz, Hörnern und anderen befremdlichen "Extras“ dem Erscheinen des Domovois zugeschrieben. Schwarze Hunde und phantomhafte Katzen gehören mit zu den zahlreichen Verkleidungen des Geistes, glaubt man den Berichten aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und dem Balkan.

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Gemäß den überlieferten Volksweisheiten des slavischen Sprachraumes verfügt jedes Haus und jede Wohnung über einen eigenen Domovoi. Er könnte auch als der Wächter über das Wohl des Immobils betrachtet werden bzw. als dessen "schlechtes Gewissen“. So ist der Domovoi meist gutmütig, verspielt und eher harmlos solange im Haushalt alles seine Ordnung hat und regelmäßig geputzt wird.

Ähnlich der deutschen Legende von den Heinzelmännchen, wird auch dem Domovoi nachgesagt, gelegentlich als heimliche, helfende Hand zu agieren und unangenehme Hausarbeiten des nächtens zu erledigen. Sollte der menschliche Hausbesitzer seinen Wohnraum jedoch vernachlässigen, dem Spiel, der Trunksucht, dem Fluchen und dem Streit zugeneigt sein, können diese Untugenden den Hausgeist verärgern und zu allerlei Schabernack anstiften.

Viele Familien betrachten den Domovoi aufgrund dieser sehr menschlichen, geradezu "väterlichen“ Züge über Generationen hinweg als normales, wenn auch unsichtbares Familienmitglied, mit welchem gesprochen und umgegangen wird. Um einen Domovoi anzulocken soll man z.B. in den besten Sonntagskleidern vor das eigene Haus treten und laut rufen: "Dedushka Debrokhot, bitte komm in mein Haus und hüte die Schafe!“

Um einen rivalisierenden Domovoi loszuwerden soll man mit einem Besen gegen die Wände klopfen und rufen: "Großväterchen Domovoi, hilf mir den Eindringling zu verjagen!“ Nach einem Umzug in ein anderes Haus kann man der Sage nach seinen "alten“ Hausgeist dazu auffordern, einem in die Wohngelegenheit nachzufolgen.

Die bevorzugten Aufenthaltsorte dieser Geister sind Türschwellen und Kamine bzw. Öfen. Der Domovoi macht sich gelegentlich durch Knacken und Klopfen im Umfeld dieser Orte bemerkbar. Ein weiterer Lieblingsplatz der Hausgeister soll das Zentrum des Hauses sein, sprich das mittlere Zimmer oder Stockwerk. Wie schon angedeutet beschützt der Domovoi das Haus und dessen Bewohner, ja hilft sogar bei Hausarbeiten und hinterlässt gelegentlich kleine Geschenke oder Botschaften für die Menschen, denen er wohlgesonnen ist. Manche Bauern betreiben noch heute den Brauch, dem Domovoi für seine Dienste regelmäßig etwas Brot, Milch und andere Leckerbissen zu hinterlassen, an welchen dieser (oder aber die Hausmaus?) sich über Nacht laben soll.

In Polen gab es die Tradition, beim Neubau eines Hauses einen Laib Brot unter dem Ofen oder dem Küchenherd einzumauern. Um den Geist zu besänftigen wurde in einigen Gegenden regelmäßig ein Brot in weißes Leinen eingeschlagen und eine frische, weiße Tischdecke ausgebreitet, um das Wesen zum Essen einzuladen. In Russland bot man vor einem Umzug dem Hausgespenst einen Wohnplatz in Form eines alten Stiefels an, in welchem er dann ganz nach Art von Aladins Wunderlampe praktisch transportiert werden konnte. Der Stiefel wurde anschließend im Garten an einem Baum aufgehängt.

Neben guter Haushaltsführung und anständigen Manieren war es darüber hinaus wichtig, nur Haustiere zu halten, welche dem Domovoi zusagten. Hatte man ihn nicht um seine Zustimmung gebeten, konnte der Hausgeist wütend werden und die angeschafften Tiere bzw. das neue Vieh quälen, erkranken lassen und sogar töten. Unbekannte Krankheiten und unerklärliche Viehverstümmelungen schrieb man früher meist den Domovois zu.

Eine weitere Eigenschaft des Domovois war die des Hausorakels. Durch sein Verhalten und seine Taten konnte er dem aufmerksamen Hausbesitzer Hinweise zu nahendem Unheil oder bevorstehenden Todesfällen geben und ihn warnen. Frauen zog er an den Haaren oder zwickte sie, wenn sie sich mit dem falschen Mann eingelassen hatten; er heulte und knurrte vor einem Unglück und erschien sogar als große, menschenartige Gestalt, wenn ein Todesfall bevorstand, um seinen nervenzerreißenden Klagegesang und markerschütterndes Gekreische anzustimmen. Im Falle bevorstehenden Glückes, seien es Hochzeiten oder Geburten, soll der Domovoi schallend lachen oder an den Zinken eines Kammes herumklimpern.

Wie wir schon bereits erfahren durften, hat der Domovoi nicht nur gutmütige Charakterzüge, sondern vereint auch eine sehr finstere Seite in seinem Wesen. Obwohl er generell von der Bevölkerung als Verbündeter angesehen und geschätzt wird, so fällt er durch seine Launigkeit, kindische Unreife und durch vereinzelte Zornesausbrüche auch durchaus negativ, ja bedrohlich auf.

Die Volksweisheit lehrt uns an dieser Stelle, dass Domovois gelegentlich aus Nachbarhäusern zu Besuch kommen bzw. nach Abriss oder Vertreibung aus dem alten Wohnsitz auf der Suche nach einem neuen Quartier "vorbeischauen“ und dann meist für Ärger und Unglück sorgen. Poltergeistaktivität, nächtliche Attacken und verschwindende Gegenstände wurden dem umtriebigen Verhalten eines fremden, nichtansässigen Domovois zugeschrieben. Auch sollen diese Geister auf ihrer Irrfahrt das Vieh in den Ställen quälen und verängstigen, einzelne Tiere und ganze Herden stehlen und das Korn auf den Feldern zerstören. Durch diesen Vandalismus will der heimatlose Domovoi Streit zwischen Nachbarn heraufbeschwören, so die Legende.

Wenn ein Hausgeist unglücklich oder mit seinen menschlichen Mitbewohnern unzufrieden ist, spielt er gerne üble Streiche und stiftet Chaos und Verwirrung. Z.B. lässt er kleinere Gegenstände klappern und springen, zerbricht Geschirr und Gläser, hinterlässt schmutzige Hand- und Fußabdrücke auf Böden, Möbeln und an Wänden, Risse bilden sich in den Wänden oder man hört den Geist klopfen, auf Töpfe schlagen oder wild heulen. Sollte die Situation nicht zum Besseren gewendet werden und zeigen sich die Hausbewohner uneinsichtig, kommt es vor, dass die Aktivität des Domovois weiter eskaliert und er die Bewohner bedroht oder körperlich angreift.

Hier berichtet uns die slavische Folklore von Erlebnissen, die stark an Schlafparalyse, Albdrücken und das Incubus-/Succubus-Phänomen erinnern. Die Verbindung zur mitteleuropäischen Hagezusse, dem Nachtmahr, Hexen bzw. zu den seit einem halben Jahrhundert so populär gewordenen "Aliens“ dürfte jedem sofort ins Auge fallen. Wahrscheinlich sprechen auch die slavischen Volksweisen vom selben paranormalen Urheber wie die vielen anderen Überlieferungen weltweit; nur der Name ist eben ein anderer.

Nachdem wir nun „das Großväterchen“ kennengelernt haben, wollen wir im zweiten Abschnitt dem weiblichen Pendant, der Kikimora unsere Aufmerksamkeit schenken:

KIKIMORA

Der Ursprung des "alten Weibleins“ Kikimora liegt in der slavischen Muttergottheit namens Mokosch, welche im Pantheon des slavischen, vor-christlichen Polytheismus neben fünf weiteren Göttern und zahlreichen Naturgeistern im Mittelpunkt von Fruchtbarkeitskulten und Ernte-Festen stand. Mokosch bedeutet der Übersetzung nach in etwa "Wasserfrau“ und deutet die Verbindung zwischen der Mutter Erde und dem lebensspendenden, feuchten Element in Form von Regen und Gewässern hin.

Als einzige Frau im Götterreigen des ersten Jahrtausend nach Christus galt die Mokosch als Mutter- bzw. Hauptgöttin und war auch Schutzpatronin der Händler und Kaufleute dieser Zeit.

Andere gebräuchliche Namen und wesensgleiche Darstellungen für die Kikimora oder Mokosch sind in den jeweiligen Regionen z.B. Mora, Morena, Mara (Lettland), Moira (die Schicksalsgöttinnen Griechenlands), Mahr (dt.), cauchemar (frz.) oder nightmare (engl.).

Die Bedeutung dieser weiblichen Gottheit in der slavischen Folklore und ihr Einfluss auf den Rest Europas kann nicht unterschätzt werden. So wurden um 980 n.Chr. in Kiev gewaltige Standbilder von ihr im Auftrag des Herrschers Vladimir I. aufgestellt und heute noch erinnern Ortsnamen wie Mokosin (Tschechien), Muuke (bei Stralsund) und Mogast (Oberfranken) an die weit verbreitete Ehrfurcht vor der ungestümen Gottesmutter.

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Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurde die Mokusch zusehends in die christlich-orthodoxe Marienverehrung integriert und verschwamm schließlich mit dieser. Da beide jedoch den gleichen Archetypus repräsentieren, fällt der Unterschied zwischen Heidentum und christlichen Glaubensvorstellungen wieder einmal kaum ins Gewicht. Später- nach der Christianisierung und neben der Erhebung der Mokosch zur heutigen Maria wurde der abgewandelte Name Mokusch auf die weiblichen Dämonen der nordrussischen und ukrainischen Sagenwelt übertragen. Es fand sozusagen eine Trennung der Gottheit in zwei Hälften, der “guten“ Maria und der “bösen“ Kikimora, statt.

Die Kikimora war dafür bekannt, bei Nacht in Häuser einzudringen und je nach Belieben anfällige Hausarbeiten zu erledigen oder aber den Hausstand zu verwüsten. Meist wird sie als die heimliche Spinnerin bzw. Weberin mit großem Kopf und überlangen Händen beschrieben, begleitete ihr spukhaftes Erscheinen doch oft das Geräusch einer von Geisterhand laufenden Spindel. Dabei konnte es vorkommen, dass sich das Garn wild verhedderte. Man fürchtete sich auch, von der Mokusch in das Fädengewirr mit eingesponnen zu werden.

Das Element des Verhedderns und das Durcheinanderbringen von Fäden begegnet uns in leicht abgewandelter Form bis heute in den Berichten von Landwirten, welche verknotete und verflochtene Mähnen bzw. zerzaustes Fell an ihrem Vieh feststellen und dies entweder in Europa der Hagezusse/ Trude oder in Nordamerika dem Bigfoot/ Sasquatch zuschreiben. Auch erinnert die Darstellung der drei fadenspinnenden griechischen Schicksalsgöttinnen Klotho, Atropa und Lachesis stark an das Werk der Kikimora.

Die Kikimora ist mit weiteren, nicht besonders sympathischen Wesenszügen ausgestattet, welche sie in großer Einhelligkeit mit ihrem männlichen Gegenpart, dem Domovoi, teilt. Dabei ergänzen die beiden sich derart, dass man entweder von einem "perfekten Paar“ sprechen könnte oder besser gleich eine vollständige Personalunion der beiden annimmt.

Neben dem Spinnen und dem Zerzausen von Fäden und Haar sagt man der Kikimora nach, durch ständiges Poltern und Klopfen die Bewohner eines Hauses in Angst und Verzweiflung zu stürzen und schließlich aus der Wohnung zu jagen. Ihr Erscheinen in voller Gestalt wird parallel zum Domovoi-Glauben als böses Omen bzw. als Todesankündigung gedeutet.

Auch macht sich die Kikimora gerne an Nutzvieh, insbesondere an Hühnern zu schaffen und stiehlt, schwächt oder tötet die Tiere. Um derlei parasitäres Gebaren am Nutzvieh zu verhindern, kamen unter der Landbevölkerung diverse, abstrus erscheinende Rituale, Talismane und Schutzzauber zum Einsatz. Man hängte unter anderem einen zerbrochenen Krug oder einen runden, durchlöcherten Stein über der Stalltür auf, um die Kikimora vom Eintreten abzuhalten. Die Bezeichnung “Hühnergott“ für einen gelochten Stein entstammt diesem damals geläufigen Brauch.

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Wie wir auf unserer kurzen Exkursion in den slavischen Volksglauben sehen konnten, findet sich auch hier in regionaler Einfärbung das gleiche Konglomerat paranormaler Elemente wieder, welches schon zu allen Zeiten und auf allen Erdteilen kultur-unabhängig auftrat und bis heute anhält.

Die Namensgebungen im eurasischen Raum variieren zwar, weisen aber deutliche Wortsverwandtschaft untereinander auf und spinnen somit wie die sagenhafte Kikimora einen roten Faden über Ländergrenzen hinweg und quer durch die Menschheitsgeschichte, welcher uns an die “Leidensgenossen“ vergangener Tage geistig anknüpfen lässt.

Das Phänomen selbst scheint weder Zeit noch Raum zu kennen bzw. es spielt nach Belieben mit dem, was uns Menschen als unüberwindbare Konstanten erscheint. Dabei ist das uns gebotene Schauspiel nur auf den ersten Blick so tausendgesichtig und facettenreich. Im Grunde grenzt es zuweilen an reine Einfallslosigkeit, bedenken wir, wie routinenhaft und “ewig ähnlich“ die Täuschungsmanöver dieser Wesenheiten über Jahrhunderte und Jahrtausende erscheinen.

Das Grundthema der unbekannten Kräfte blieb stets das gleiche, während lediglich die Fassade des Phänomens -an die Epochen angepasst- geringfügigen, kosmetischen Änderungen unterzogen wurde. Wir dürfen also meines Erachtens getrost am Einfallsreichtum dieser Trickster und damit im gleichen Zug an ihrer vorgeblichen Allmacht zweifeln.

Andrium

Literatur:
Zelenin, Dmitrij: Russische (Ostslavische) Volkskunde
Herbert Gottschalk, Lexikon der Mythologie
Wikipedia
Bilder: Wiki



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