UNENDLICHKEITEN

Datum 27.08.2008 00:10:00 | Thema: Artikel

Von Reptomaniac

"Vielleicht nicht einmal Gott", antwortete vor einiger Zeit ein Vertreter des Vatikans in einem Fernsehinterview auf die Frage, ob jemand in der Lage sei, die Unendlichkeit zu begreifen..
Wahrscheinlich hat der gute Mann den lieben Gott etwas unterschätzt, sind doch sogar wir Menschen, trotz all unserer Unzulänglichkeit, durchaus dazu fähig, uns dem Begriff der Unendlichkeit ziemlich anzunähern. Schon jeher haben sich Philosophen, Theologen, Physiker und Mathematiker damit befasst, jeder auf seinem Gebiet. Die Philosophen waren die ersten, die sich der Unendlichkeit annahmen, dann folgten die Theologen, später dann die Mathematiker. Und alle haben den Begriff aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und neue Aspekte hinzugefügt.

Lange Zeit tobte ein Streit unter den Gelehrten, ob man die Unendlichkeit als potentiell oder als aktual auffassen sollte. "Potentiell" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Unendlichkeit lediglich als eine unerreichbare Möglichkeit existiert. Wenn ich z.B. anfange zu zählen, werde ich wegen der Endlichkeit meines Lebens, niemals die Unendlichkeit erreichen, so weit ich auch mit der Zählerei komme, die Unendlichkeit liegt immer noch in unerreichbarer Ferne.

Die Verfechter der aktualen Unendlichkeit dagegen stellen sie sich als ein bereits vorhandenes abgeschlossenes Ganzes vor. Wenigstens war man sich einig, dass zumindestens ein aktual Unendliches existiert, nämlich Gott. Die scholastischen Dispute und Spitzfindigkeiten über die Frage, wieviel Engel auf einer Nadelspitze tanzen können, waren im Grunde nichts weiter als Diskussionen darüber, wie das Verhältnis eines unendlichen Gottes zu seiner endlichen Schöpfung ist, bzw. welcher Zusammenhang besteht zwischen der Welt des geistig-immateriellen (Engel) und der Welt der Materie (Nadelspitze).

Oft werden die beiden Begriffe "unendlich" und "unbegrenzt" miteinander verwechselt. Aber sie sind nicht identisch. So sagt uns die moderne Astronomie z.B., dass unser Universum zwar unbegrenzt, aber dennoch endlich ist. Den Unterschied kann man sich am besten verdeutlichen, wenn man sich die Erdoberfläche vor Augen führt. Ich kann, wenn ich von einem beliebigen Punkt starte, prinzipiell immer weiter in eine Richtung gehen, ohne jemals auf eine Grenze zu stoßen, sieht man einmal von natürlichen Hindernissen, wie Bergen oder Meeren usw. ab. Aber es existiert auf der Erdoberfläche keine Grenze, keine Mauer, hinter der es nicht mehr weitergeht. D.h. die Oberfläche unseres Planeten ist zwar unbegrenzt, dennoch ist sie nicht unendlich, wie wir wissen, denn ihr Flächeninhalt ist eine endliche Größe und sie umschließt ein endlichen Volumen.

Ähnlich verhält es sich bei unserem Universum. Ein Raumschiff könnte ewig in die gleiche Richtung fliegen (es würde nach einer bestimmten Zeit natürlich wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkehren), aber es würde niemals an eine Grenze des Weltalls stoßen. Trotzdem hat, wie die Astronomen sagen, das Universum keine unendliche Größe, sondern in Analogie zur Erdoberfläche ein endliches Volumen (als "Oberfläche"), das ein endliches Hypervolumen einschließt.

Für den Philosophen Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) war das Fehlen einer Grenze ein Mangel. Für ihn war die Welt vollkommen und nach seiner Auffassung mußte etwas Vollkommenes auch eine Grenze besitzen. Er glaubte, die existierende Welt befände sich innerhalb der äußersten Kristallschale, an der die Fixsterne befestigt sind, und es gäbe kein "Draußen" außerhalb der Welt.

Aristoteles war übrigens auch der Erfinder des Begriffes "potentielle Unendlichkeit", eine Unendlichkeit, die, wie schon erwähnt, nicht real vorhanden, sondern immer nur im Enstehen begriffen ist. Der Dichter und Philosoph Lukrez (etwa 96 v. Chr bis 55 v. Chr.) widersprach der Auffassung des Aristoteles und sagte:

"Zeig mir, lieber Aristoteles, deine Weltgrenze. Ich will hingehen, mich auf die Grenzmauer stellen und meinen Speer werfen. Wohin fliegt er? Wird er zurückgeworfen, oder fliegt er über die Grenze? Was geschieht mit dem Speer? Mit dieser Frage will ich dich verfolgen, bis du mir eine einleuchtende Antwort geben kannst."

Mit diesen Worten wollte er ausdrücken, dass Aristoteles mit seiner Behauptung einer ultimaten Grenze der Welt völlig falsch lag. Denn würde der Speer wieder zurückgeworfen, befände sich jenseits der aristotelischen Grenze ein Etwas, an dem der Speer zurückprallt, eine neue Grenze. Kommt er aber nicht zurück, dann kann die Grenze des Aristoteles ebenfalls nicht die endgültige sein.

Thomas von Aquin (um 1225 bis 7: März 1274) war ein Anhänger der Lehre des Aristoteles und verwarf ebenso wie dieser die Idee von einer aktualen Unendlichkeit. Vielleicht rührt das auch daher, weil er der Auffassung war, dass die Kette von Ursachen und Wirkungen nicht unendlich groß sein kann und an der Spitze von Allem eine erste Ursache, ein Erstbeweger, nämlich Gott, stehen muß.

Ganz anderer Meinung dagegen war Giordano Bruno (Januar 1648 bis 17. Februar 1600), ein Denker, der seiner Zeit weit voraus war und den die Inquisition wegen seiner Meinungen zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilte. Er stellte sich einen unendlich großen Kosmos mit unzähligen darin enthaltenen Welten vor. Was die ominöse Weltgrenze des Aristoteles betraf, so baute er auf dem Argument von Lukrez auf und stellte die Frage:

"Wenn die Welt endlich ist und außerhalb nichts, wo ist dann die Welt. Hängt sie im Nichts? Wo ist die Hand, die ich über den Rand des Universums hinaus ausstrecke?"

Wie schon angemerkt, ist die moderne Astronomie und Physik der Auffassung, dass unser Universum eine endliche Größe besitzt und in ihm eine endliche Zahl von Elementarteilchen vorhanden ist. Sehr wahrscheinlich ist das Universum tatsächlich um einiges größer, als wir mit unseren Teleskopen erfassen können, aber die Anzahl der Teilchen bleibt immer noch endlich.

Es mögen vielleicht 10^100 sein, eine einigermaßen große Zahl, aber doch nicht unendlich, daher vertreten einige wenige Außenseiter die Meinung, im Prinzip genügten die natürlichen Zahlen, um die Vorgänge innerhalb des Universums zu beschreiben und Methoden wie die Infinitesimalrechnung wären zwar nützlich, aber nicht unbedingt notwendig. Die Unendlichkeit kommt aber wieder zu der Hintertür herein, wird doch darüber spekuliert, ob es außer unserem Universum auch noch andere, unendlich viele Paralleluniversen gibt.

Ein ganz besonderes Kapitel im Zusammenhang mit dem Begriff Unendlichkeit ist die Ewigkeit, eine unendlich lange Zeitdauer. Nun ist die Zeit sowieso ein sehr schwer fassbarer Begriff, vielleicht gibt es sie in Wirklichkeit gar nicht und sie ist lediglich ein Konstrukt unseres Gehirns, eine Krücke für unser Bewußtsein, damit wir uns in dieser Welt zurechtfinden können.

Die Unterteilung der Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist ja bei näherer Betrachtung schon etwas eigenartig, denn genau gesehen, ist das, was wir unter Gegenwart verstehen, ein Etwas, dass auf der Trennlinie zwischen zwei "Nichts'en" liegt, denn die Vergangenheit existiert nicht mehr und die Zukunft noch nicht. Und dieses Etwas der Gegenwart scheint sich unaufhörlich in eine Richtung, die Zukunft, zu bewegen, oder die Gegenwart steht still und die Ereignisse strömen aus der Zukunft, so wie bei einem Fluß, an uns vorüber.

Albert Einstein meinte ja auch, dass die Physiker inzwischen wüssten, dass Zeit nicht existiert und er bezeichnete sie als eine "hartnäckige Illusion". Paul Davies vergleicht es mit dem Empfinden einer Person, die sich schnell um die eigene Achse gedreht hat und die, nachdem sie wieder zum Stillstand gekommen ist, für einige Momente die Illusion hat, die Welt würde sich 'rund um sie drehen. Andere verweisen darauf, dass sich die Zeit bisher jeder experimentellen Überprüfung entzogen hat, ja dass man nicht einmal weiß, wie ein solches Experiment auszusehen hätte und dass das Einzige, was man über sie sagen könnte wäre, dass sie mit einer Sekunde pro Sekunde vergeht.

Wenn nun aber Zeit nur eine Illusion ist, was für einen Sinn hat es dann, von einer unendlich langen Zeitdauer, von der Ewigkeit zu reden? Die Theologen sagen, Gott existiert von Ewigkeit zu Ewigkeit, d.h. er hat weder einen Anfang in der Vergangenheit, noch ein Ende in der Zukunft. Wenn er aber schon ewig lang existiert, bevor er die Welt erschafft, dann macht er doch über einen unendlichen Zeitraum nichts, d.h. eigentlich dürfte es niemals eine Schöpfung geben.

Deswegen behilft man sich ja denn auch mit der Behauptung, dass Gott nicht in den Fluß der Zeit eingebunden ist, sondern außerhalb von ihr stehe. Manche antworten auch auf die Frage, was er denn die ganze Zeit vor der Erschaffung der Welt gemacht habe, dass er damit beschäftigt war, die Hölle zu erschaffen, für alle diejenigen, die solche dummen Fragen stellen.

Am unbekümmertsten mit der Unendlichkeit gehen wohl die Mathematiker um. Seit Georg Cantor (3. März 1845 bis 6. Januar 1918) seine Mengentheorie (mit der er die Unendlichkeit in den Griff bekommen wollte) entwickelt hat, hat auf diesem Gebiet eine wahrhaft explosive Entwicklung stattgefunden. Aus den einfachen Unendlichkeiten eines Aristoteles oder einer Lukrez ist eine wahre Vielfalt von Unendlichkeiten unterschiedlichster Stufen geworden.

Um das zu verstehen, müssen wir uns kurz mit der Mengentheorie befassen. Am besten stellt man sich eine Menge so ähnlich wie eine Liste vor, auf der verschiedene Objekte (Elemente der Menge) aufgeführt sind. Eine Menge kann leer sein oder beliebig viele Elemente enthalten, allerdings darf keines mehrfach aufgeführt werden. Auch Mengen können Elemente von anderen Mengen sein. Eine Menge wird üblicherweise in geschweiften Klammern notiert, die Elemente durch Strichpunkte getrennt. Beispiel: A = {Hund ; Katze ; Maus}, B = {1 ; 2 ; 3 ; 4}. Man kann nun zwei Mengen bezüglich ihrer Größe vergleichen, dazu braucht man nicht einmal zählen zu können, sondern man geht ganz einfach so vor, wie zwei kleine Kinder, die herausfinden wollen, wer mehr Spielsachen hat:

Wir ordnen die Elemente der beiden Mengen paarweise an: Hund -> 1, Katze -> 2, Maus -> 3, kein Element -> 4. Wir sehen, dass die Menge B mehr Elemente als A enthält, man sagt B ist mächtiger als A, bzw. A ist weniger mächtig als B; haben zwei Mengen die gleiche Anzahl an Elementen, heißen sie gleichmächtig. Gleichmächtigen Mengen wird die gleiche Kardinalzahl zugeordnet. Bei endlichen Mengen ist dies einfach die Anzahl ihrer Elemente, so hat im obigen Beispiel die Menge A die Kardinalzahl 3 und B die Kardinalzahl 4.

Eine Teilmenge einer gegebenen Menge erhält man, wenn man aus der Menge eine beliebige Zahl von Elementen (das können von keinem bis alle sein) nimmt und daraus eine neue Menge bildet. Im Beispiel von A erhält von folgende Teilmengen: {} (kein Element gewählt), {Hund}, {Katze}, {Maus}, {Hund ; Katze}, {Hund ; Maus}, {Katze ; Maus}, {Hund ; Katze ; Maus} (alle Elemente ausgewählt). Fasst man alle Teilmengen einer Menge M zu einer Menge zusammen, so heißt sie Potenzmenge von M. Die Potenzmenge von A wäre demnach {} ; {Hund} ; {Katze} ; {Maus} ; {Hund ; Katze} ; {Hund ; Maus} ; {Katze ; Maus} ; {Hund ; Katze ; Maus}}, sie ist wesentlich größer als A, genauer gesagt hat P(M), wenn M n Elemente hat, 2^n Elemente. Im Falle der Menge A, die aus drei Elementen besteht, hat ihre Potenzmenge 2^3=8 Elemente, wie man leicht überprüfen kann.

Wie schon erwähnt, bei endlichen Mengen kann man ihre Größe prinzipiell durch Abzählen der Elemente ermitteln. Bei unendlichen Mengen ist das nicht möglich, da hilft nur die Vergleichsmethode. Man sollte z.B. annehmen, es gäbe nur halb soviele gerade Zahlen, wie natürliche, aber das ist ein Irrtum. Man muss die Elemente der beiden Mengen nur paarweise anordnen: 1 -> 2, 2 -> 4, 3 -> 6, 4 -> 8..... usw. bis in alle Ewigkeit, d.h. beide Mengen sind gleichmächtig, da kein Element jemals ohne Partner ist. Ebenso könnte man denken, es gäbe viel mehr Brüche als natürliche Zahlen, aber auch hier kann man die beiden Mengen so anordnen, dass jedes Element seine Entsprechung hat. Das erscheint selbstverständlich, denn unendlich ist gleich unendlich, wie man glauben könnte.

Cantor gab der Kardinalzahl der Menge der natürlichen Zahlen N (1, 2, 3....) den Namen Aleph_Null (Aleph ist der erste Buchstabe des hebräischen Alphabets). Was ist aber, wenn wir die Potenzmenge von N bilden? Diese ist um ein gehöriges Stück größer und es gibt keine Möglichkeit, N und ihre Potenzmenge so anzuordnen, dass alle Elemente von P(N) durch Abzählen erfasst werden. Wer es nicht glaubt, möge es versuchen. Die Potenzmenge von N besitzt also einen höheren Grad an Unendlichkeit als N (man sagt, N ist abzählbar unendlich, ihre Potenzmenge ist überabzählbar unendlich).

Die Kardinalzahl von P(N) heißt denn auch Aleph_Eins (2^Aleph_Null Elemente). Von dieser Menge können wir wiederum die Potenzmenge bilden und kommen zur Kardinalzahl Aleph_Zwei usw. Dieses Spiel können wir ewig lang fortsetzen und erhalten so einen unendlichen Turm von immer größeren Unendlichkeiten, wirklich unfassbar (..übrigens musste sich Cantor in psychiatrische Behandlung begeben, vielleicht auch aufgrund seiner Beschäftigung mit diesen Unendlichkeiten).

Überspringen wir jetzt diese ganzen Alephs, so kommen wir zu einer neuen Klasse von Kardinalzahlen, die noch ein Stückchen größer sind: die unerreichbaren Kardinalzahlen. Man frage mich aber nicht, was man darunter zu verstehen hat. Sinnigerweise heißen bei den Mengentheoretikern alle die schon schier unglaublichen Alephs "kleine Kardinalzahlen". Nach den unerreichbaren folgt eine ganze Reihe immer größerer unendlicher Kardinalzahlen, darunter solche mit Namen wie unbeschreibbare, unfaltbare, unaussprechbare, ununterscheidbare, meßbare, erweiterbare, superriesige Kardinalzahlen. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Und ganz im Hintergrund, in unendlich weiter Ferne lauert ein uvorstellbares Etwas: das 'Absolut Unendliche', unbeschreibbar, unfaßbar, sich jedem Verständnis entziehend. Man kann sich noch so bizarre, wilde, unglaubliche Eigenschaften denken, das 'Absolut Unendliche' wird dadurch niemals beschrieben, es ist für unser Verständnis absolut unerreichbar.

Ich habe anfangs den Kleriker erwähnt, der Gott auf dem Gebiet der Unendlichkeit wenig zutraute. Aber wenn schon Menschen zu solch schier unglaublichen Denkleistungen fähig sind, dann sollte das für einen Gott eine Kleinigkeit sein. Im Grunde ist ja diese ganze Suche nach immer größeren Unendlichkeiten nichts weiter als eine Suche nach Gott, der vielleicht mit der Absoluten Unendlichkeit identisch ist..

Repotomaniac, 10.08.2008



Quellen:
Peter Ripota - Omega
Rudi Rucker - Die Ufer der Unendlichkeit
Paul Davies - Die Unsterblichkeit der Zeit
wikipedia
und...unendlich viele Internetseiten....



Dieser Artikel stammt von Ufos-Co.de
http://www.ufos-co.de/news_artikel/htdocs

Die URL für diesen Artikel lautet:
http://www.ufos-co.de/news_artikel/htdocs/modules/news/article.php?storyid=1586